Ich denke, die Bellsche Ungleichung und die Folgen ihrer Verletzung sind einfach genug, dass sie jeder verstehen kann. Hier möchte ich anhand eines einfachen Spiels erläutern, wie sie funktioniert.
Ich lege drei Karten meiner Wahl verdeckt auf den Tisch, so dass Sie deren Farbe nicht sehen können. Der Wert der Karten ist unwichtig, das einzige, worauf es ankommt, ist, ob die Farbe rot oder schwarz ist.
Ihr Ziel ist, zwei Karten mit derselben Farbe zu finden — also entweder zwei rote oder zwei schwarze Karten.
Wenn Sie die Karten gewählt haben, werden sie umgedreht.
Sie haben mir in diesem Fall 100 € zu zahlen.
In diesem Fall habe ich Ihnen 200 € zu zahlen.
Ihre Chance zu gewinnen ist mindestens 1⁄3.
Wir wollen aber noch mehr Sicherheit, wir wollen das Spiel sogar so sicher machen, dass man selbst während des Aufdeckens nicht schummeln kann. (Bis jetzt wäre dies durchaus noch möglich: wenn ich die anderen Karten vertauschen kann, während Sie die erste Karte aufdecken, kann ich immer gewinnen — aber dies geht natürlich erst, wenn ich weiss, welche Karte Sie aufdecken).
Dazu verteilen wir das Spiel auf zwei Räume, mit zwei Mannschaften aus je zwei Spielern. Wir beide sind in einem Raum, unsere Teamkameraden im anderen Raum.
Auch die Karten werden verdoppelt, so dass wir je drei Karten in jedem Raum haben. Diese drei Karten müssen gleich sein. Zumindest verspricht dies unser Team. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, Sie erhalten ausreichend Möglichkeit, dies nachzuprüfen.
Meine Mannschaft hat natürlich vor dem Spiel die Möglichkeit, die Wahl der Karten zu koordinieren. Mein Freund weiß also, welche Karten ich hinlegen werde, und ich weiß, welche Karten mein Freund hinlegen wird. Genauer, wir haben zumindest die Möglichkeit dazu.
Wie in der ersten Variante, liegen die Karten verdeckt vor. Sie sehen die drei verdeckten Karten in unserem Raum, Ihr Freund sieht drei verdeckte Karten in seinem Raum. Auch Ihr Team kann sich vorher beraten haben, welche Strategie gewählt wird. Dann werden die Türen werden geschlossen, weitere Kommunikation ist nicht möglich.
Nun wählt Ihr Team die Karten aus, diesmal in jedem der beiden Räume nur eine Karte. Nach dieser Wahl wird in beiden Räumen jeweils die eine in diesem Raum ausgewählte Karte geöffnet. Danach treffen wir uns um die Ergebnisse zu vergleichen.
Dazu müssen wir nun vier verschiedene Situationen betrachten:
Wenn Ihr Team in beiden Räumen die gleiche Karte (also die an der gleichen Stelle) auswählt, wird in dieser Runde lediglich überprüft, ob wir unser Versprechen eingehalten haben, in beiden Räumen dieselben Karten auszulegen: Die beiden aufgedeckten Karten müssen gleich sein.
Sind sie gleich, dann zählt diese Runde nicht. (Ob Sie uns für den Zeitverlust nicht doch 1 € zahlen sollten, sei dahingestellt.)
So etwas muss hart bestraft werden. Unser Team hat 100 000 € zu zahlen und wandert ins Gefängnis.
Wenn die beiden Karten verschiedene Farben haben — also eine rot, die andere schwarz — haben Sie die Runde verloren und zahlen uns 100 €.
Welche Möglichkeiten bestehen denn nun noch für uns, trotzdem noch zu betrügen?
Wir könnten einen geheimen Informationskanal verwenden, in dem die Information darüber, welche Karte in dem einen Raum ausgewählt wurde, sofort in den anderen Raum gesendet wird. Dann fällt betrügen nicht mehr schwer – wir sind wieder in derselben Situation wie im ersten Spiel, also genau in der Situation, die wir durch die Aufteilung in zwei Räume verhindern wollten.
Wenn man aber keinen geheimen Informationskanal hat, sieht es schlecht aus für Betrüger. Eine erwähnenswerte Betrugsmöglichkeit gibt es allerdings noch:
Wenn unser Team in der Lage ist, hypnotischen Einfluss auf Ihr Team auszuüben, fällt es uns auch nicht schwer, zu gewinnen. Wir verwenden für die erste Karte in beiden Räumen rot, für die zweite Karte schwarz, und verhindern durch Hypnose, dass jemand aus Ihrem Team die dritte Karte wählt.
Dagegen können Sie sich jedoch wappnen, indem Sie, statt sich am Platz etwas frei auszudenken, was durch Hypnose beeinflussbar wäre, vorher einen strengen Algorithmus festlegen, in dem Sie Elemente verwenden, die nicht der Gefahr der Hypnose unterliegen. Sie können die Werte vorher ausmachen und aufschreiben. Sie können einen Würfel zur Auswahl verwenden. Oder sie verwenden ein quantenmechanisches Experiment. Oder einen deterministischen Zufallsalgorithmus. Oder sie verwenden all diese Mechanismen zusammen, um daraus dann nach einem fixierten Algorithmus eine Zahl zu bilden. Selbst wenn wir die eine oder andere dieser Möglichkeiten manipulieren könnten – alle zusammen zu kontrollieren, so dass wir sicher verhindern könnten, dass Sie die dritte Karte wählen, dürfte unrealistisch sein.
Diese Möglichkeit betrachten wir deswegen nicht weiter.
In der Tat, wir können Ihre Wahl nicht manipulieren. Und da ich – aufgrund fehlenden Informationskanals – nicht wissen kann, ob im anderen Raum dasselbe gefragt wird, mus ich genau so antworten, wie der Freund im anderen Raum auf dieselbe Frage antwortet. Das heisst, wir haben keine andere Wahl, als die Antworten auf alle drei Fragen vorher festzulegen und uns auch daran zu halten — das Risiko, erwischt zu werden, wäre (mangels Informationskanal) einfach zu hoch.
Dann aber gibt es eigentlich nichts zu betrügen, denn dass die Antworten auf die Fragen vorher festgelegt und in beiden Räumen gleich sind, ist ja nicht nur erlaubt, sondern die Spielregel. Unsere Ehrlichkeit wird also durch die Möglichkeit der Überprüfung, die Ihrer Seite zur Verfügung steht, völlig abgesichert. Sie können daher sogar auf die Auslegung von Karten verzichten. Sie fragen uns dann einfach, welche Farbe wir für die Karte Ihrer Wahl ausgemacht haben.
Damit bleibt uns nur eine Betrugsmöglichkeit — ein geheimer Informationskanal. Genau dies ist Bells Theorem:
Wenn es keinen Informationskanal zwischen beiden Räumen gibt, ist die Gewinnwahrscheinlichkeit in diesem Spiel für Ihre Mannschaft mindestens ein Drittel.
Um es noch einmal klar zu formulieren: dieses Spiel ist nicht etwa eine entfernte Analogie zu etwas, was mit der Bellschen Ungleichung zu tun hat, sondern es ist genau die Bellsche Ungleichung, und wenn man sich von der Richtigkeit der obigen Behauptung über dieses Spiel überzeugt hat, dann hat man sich damit von der Richtigkeit der Bellschen Ungleichung überzeugt.
Dies können wir auch umdrehen, und wir erhalten folgendes Kriterium für die Existenz eines Informationskanals:
Wenn in diesem Spiel Ihre Mannschaft regelmäßig verliert, dann muss ein Informationskanal zwischen den beiden Räumen existieren.
Nun, die Beziehung zur Relativitätstheorie ist erstmal einfach. Die Relativitätstheorie behauptet, dass die maximale Geschwindigkeit für jede Informationsübertragung die Lichtgeschwindigkeit ist. Wenn die Räume also weit genug voneinander entfernt sind, und der Zeitraum zwischen den Entscheidungen eurer Mannschaft, welche Karte ihr sehen wollt, und unserer Antwort kurz genug ist, so dass weder ich deine Entscheidung mit Lichtgeschwindigkeit an meinen Freund senden kann, noch er die Entscheidung deines Freundes an mich, dann bräuchten wir einen Informationskanal mit Überlichtgeschwindigkeit zum Betrügen. So etwas sollte es aber laut Relativitätstheorie nicht geben.
Doch selbst wenn die Relativitätstheorie es verbietet — ich wüsste keinen Grund, deswegen an unserem Kriterium etwas zu ändern. Verliert deine Mannschaft regelmäßig, dann gibt es einen Informationstransfer, und die Einstein-Kausalität wäre einfach experimentell widerlegt.
Genau dies ist aber passiert: Die Quantenmechanik sagt es voraus, und die Experimente, beginnend mit Aspects berühmtem Experiment, haben diese Voraussage der Quantenmechanik bestätigt: es gibt einen Apparat, bei dessen Anwendung Ihre Mannschaft nur in einem Viertel der Fälle (und nicht in einem Drittel) gewinnt, und damit im statistischen Mittel pro Spiel 200 € * 1/4 - 100 € * 3/4 = 25 € verliert. Und damit ist, wenn unser Kriterium (und somit unsere obige Argumentation) richtig ist, die Einstein-Kausalität einfach experimentell widerlegt.
Dies ist allerdings nicht die Mehrheitsmeinung der Physiker. Die Relativitätstheorie, und insbesondere auch die Einstein-Kausalität, sind nach wie vor in hohen Ehren. Warum?
Um ganz genau zu sein, gibt es heute noch kein Gerät, mit dem wir im Spiel wirklich gegen Ihr Team gewinnen könnten, denn das Gerät funktioniert nur manchmal. Es wäre also nur dann einsetzbar, wenn deine Mannschaft einverstanden ist, wenn wir ab und zu (genauer gesagt ziemlich häufig) sagen "Entschuldigung, jetzt habe ich für dieses Spiel die Karte vergessen". Dies würdet ihr kaum zulassen, da wir mit bewusst eingesetzten falschen Ausreden eine leichte Möglichkeit zum Betrug hätten (wir könnten sie zum Beispiel immer verwenden, wenn jemand nach der dritten Karte fragt).
Für den Experimentalphysiker sieht dieser beim Spiel natürliche Verdacht jedoch sehr nach einer nicht weiter ernst zu nehmenden Konspirationstheorie aus. Die Apparate funktionieren nämlich genauso wie die Quantentheorie voraussagt, und die geringe Effizienz der Apparate scheint ein rein technisches Problem zu sein. Daher sehen wir, und mit uns auch der Mainstream der Physik, von dieser Erklärung ab.
Die Lösung, die der heutige Mainstream vorzieht, ist die Ablehnung des klassischen Realismus. Dies ist die Lösung des Problems, gegen die wir hier polemisieren. Es fällt mir schwer, gute Gründe für diese Alternative anzuführen.
Allerdings gab es zu der Zeit, als diese Entscheidung gefällt wurde, durchaus einige solcher guten Gründe. Dies waren:
In der damaligen Situation war die Ablehnung des Realismus also eine durchaus verständliche Entscheidung. In der heutigen Situation kann ich jedoch die Aufrechterhaltung dieser Entscheidung nicht mehr nachvollziehen.